Bewerbermikado – wie spielt man auf Gewinn?
(Teil 2 einer vierteiligen Serie rund um Personalakquise)
(erschienen in NZB 1/2014, S. 3 ff., Autorinnen: Diana Bernardi und Rechtsanwältin Melanie Neumann: Personalsuche Teil 2 aus NZB_01_2014)
Sortieren, Sichten und Sondieren der Unterlagen
Es ist soweit. Im besten Fall liegt der Praxis nach erfolgreicher Stellenausschreibung ein Stapel an Bewerbungen vor. Diese können in der heutigen Zeit sowohl als Bewerbungsmappe (wird von allen „Wie-bewerbe-ich-mich-richtig“-Profis empfohlen), aber auch als Mail, bestenfalls mit angehängtem PDF im gleichen Format wie die Bewerbungsmappe, vorliegen.
Nehmen Sie sich am besten eine Tasse Tee (wirkt beruhigend) und Zeit (also nicht zwischen den Patientenbehandlungen) und beginnen Sie mit dem Durchlesen. Klar können Sie die Unterlagen nach dem Prinzip vorsortieren, nur die ohne Formatfehler schaffen es in die 2. Runde. Bedenken Sie aber, nicht nur promovierte Politiker beherrschen das CopyPaste. Tante Google bietet enorm viele Beispiele an berufsspezifischen Bewerbungsvorlagen, die per se sodann garantiert keinen Aufschluss über die Individualität des Bewerbes oder der Bewerberin zulassen. Und wollen Sie nicht jemandem in Ihrem Team, der mitdenkt? Sagt eine durch einen Profi aufgepimpte Bewerbungsmappe wirklich so viel mehr über den Menschen, der dahinter steckt, aus?
Psychologisch gesehen weiß man heute, dass der erste visuelle Eindruck schon fast der entscheidende ist. Das soll aber nicht bedeuten, dass Sie bei den Bewerberfotos auf Modeltauglichkeit achten werden – wenngleich das in manchen Praxen wohl das wichtigste Auswahlkriterium zu sein scheint. Ich gehe davon aus, dass Sie genau wie ich dazu neigen, eher auf eine gewisse Art der Ausstrahlung zu reagieren. Das kann bei einem Foto durchaus schon gegeben sein.
Und ich glaube, hier liegt schon der erste juristische Hase im Pfeffer begraben. Was kann Frau Neumann uns zur Auswahl nach äußerlichen Kriterien sagen?
Richtig. Wie bereits im ersten Teil unserer Serie erläutert, verstößt die Anforderung eines Bewerbungsfotos gegen das AGG. Wer Bewerber aufgrund ihres Aussehens beurteilt, der läuft schnell Gefahr, Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt zu werden. Sei es, weil man fremdländisch aussehende Personen aussortiert oder solche mit „Schönheitsfehlern“ oder sichtbaren Behinderungen, oder aber nur Personen, die nicht oder gerade ins „Beuteschema“ passen. Ich selbst wurde vor Jahren ganz zufällig Zeugin einer sehr respektlosen Sichtung von Bewerbungen durch Berufskollegen, die anhand der Fotos erst einmal zwei Stapel bildeten. Kriterien wie „hübsch“, „zu alt“ oder „graue Maus“ sollten nicht den Ausschlag geben, wenn Sie qualitativ hochwertiges Personal wünschen. Zwar stimme ich Frau Bernardi zu, dass bereits ein Foto eine bestimmte Ausstrahlung erkennen lassen kann, aber Fotos können täuschen. Gerade in der Zeit von Photoshop & Co. Nicht nur im Privaten, sondern auch bei Arbeits-Beziehungen sollten stets die inneren Werte (im Gesundheitswesen vor allem Qualifikation und Empathie) im Vordergrund stehen. Aus diesem Grunde ist es in vielen Ländern (z.B. USA, UK, Schweden) längst üblich oder gar zwingend, Bewerbungen ohne Foto einzureichen. In Deutschland gibt es hierzu noch keine Regelung, sicher ist jedoch, dass eine Bewerbung nicht allein wegen einem fehlenden Bewerbungsfoto ausgesondert werden darf.
Von Rechtschreib- und Grammatikfehlern
Manchmal hält man Bewerbungsunterlagen in der Hand, die einen am Bildungssystem in diesem unserem Lande zweifeln lassen. Rechtschreibfehler, aber auch grammatikalische Aussetzer lassen entweder auf einen Migrationshintergrund schließen, oder BewerberIN hatte wohl kein großes Interesse am Perfektionieren der Schriftform. Oder liegt vielleicht doch „nur“ eine Legasthenie vor? Mit einem dafür bestehenden ICD-Schlüssel offiziell eine diagnosefähige Krankheit. Darf ich solchen Bewerbern/Bewerberinnen wegen ihres Defizits die Stelle verweigern, ja gar dies als Absagegrund angeben?
Nein, auf keinen Fall! Weist die abgelehnte Person nämlich nach, dass sie tatsächlich an Legasthenie leidet oder aufgrund Herkunft oder sonstiger Gründe nicht in der Lage war, eigenständig eine orthografisch und grammatikalisch korrekte Bewerbung zu formulieren, fachlich aber für die Stelle durchaus qualifiziert war, wird das Damoklesschwert AGG zur scharfen Waffe.
Zeugnisse und Bewertungen
Bei jungen BewerberInnen werden am häufigsten Zeugnisse und deren Notenauflistung als sehr relevant angesehen. Das kann aussagekräftig sein, muss es aber nicht zwingend. Hand aufs Herz, wer von uns mit Akademikerlaufbahn hat – damals – wirklich in JEDEM noch so ungeliebten Fach, wenn es denn nicht hatte abgewählt werden können, Höchstleistungen erzielen dürfen? Und hatten wir nicht auch ab und an den Eindruck, bei manchen Lehrern konnte trotz jeglichen Bemühungen nie gepunktet werden? Bei anderen Lehrern hingegen flogen einem die guten Noten einfach zu, auch ohne großes Zutun. Mittelmäßige Noten sollten nicht gleich ein Knock-Out sein. Azubis sind noch recht jung, da kann sich durchaus noch was ändern. Und bei ausgelernten BewerberInnen sind die Noten schon fast egal – würde ich behaupten wollen. Meine Erfahrung zeigt, dass jeder Mensch im Laufe der Jahre neue oder wieder neu entdeckte Bereiche aufarbeitet. Und zwar recht gut. Weil es einen Bezug im Alltag dazu gibt. Bestenfalls wird es sogar zum Spezialgebiet dieser Person. Umgekehrt sagen super Noten auch nichts über die Arbeitswilligkeit, die Affinität zum Job aus. In der heutigen Zeit ist auswendig Lernen ja regelrecht vorprogrammiert. Ob dies aber ein Zeichen für die Fähigkeit ist, Zusammenhänge erfassen zu können?
Was sagen aber Arbeitszeugnisse aus? Die werden akribisch gesammelt und gehören in jede Bewerbung – sagt man. PraxisinhaberInnen nehmen sich spätestens für diese Unterlagen die zweite Tasse Tee und lehnen sich zurück, um anhand dieser literarischen Ergüsse dem Bewerber/der Bewerberin den Weg auf den Stapel zu den Einladungsopfern
zu gewähren. Heutzutage hat jeder Arbeitgeber zu wissen, wie Formulierungen zu deuten sind – jawoll. Und wenn nicht, schnell bei Tante Google nachgeschaut. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass es meist gute bis sehr gute „Zeugnisse“ sind? Was meinen Sie, wie aussagekräftig Arbeitgeberzeugnisse sind?
Fragen wir doch hier auch wieder Frau Neumann:
Ein Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, ein „wohlwollendes“ Arbeitszeugnis auszustellen. Häufig wird dies so verstanden, dass ein „gutes“ Zeugnis ausgestellt werden muss. Aus diesem Grund bewegt sich die breite Masse der Arbeitszeugnisse tatsächlich in einem Bereich, der den Noten 2 bis 3 entspricht.
„Wohlwollend“ bedeutet allerdings lediglich, dass keine negativen Formulierungen verwendet werden dürfen. Daher hat sich eine spezielle Zeugnissprache entwickelt, die früher recht undurchsichtig war, mittlerweile aber doch den meisten bekannt sein dürfte. Im Netz finden sich zahlreiche „Übersetzungen“ für diese verklausulierte Sprache. Allerdings tun sich Ärzte und Zahnärzte häufig immer noch schwer, Zeugnisse dergestalt zu verfassen.
Manche schreiben immer noch, was sie tatsächlich sagen möchten, so dass diese Zeugnisse in einem anderen Licht zu sehen sind. Denn allein der Unterschied, ob Mitarbeiter „stets zur vollsten“ oder „stets zur vollen“ oder nur „zur vollsten“ Zufriedenheit tätig waren, leuchtet nicht auf den ersten Blick ein. Manchmal werden auch zeugnisunübliche Formulierungen verwendet, weil man (gerade in kleinen Praxen) wenig Routine in der Zeugniserstellung hat. Um auf Nummer sicher zu gehen, verwenden daher viele schon aus diesem Grund Formulierungen, die in etwa einem „Gut“ entsprechen. Möglichst neutral und nicht zu offensichtlich „sehr gut“, denn das könnte ja schon wieder überzogen wirken, auch wenn man von der Arbeitsleistung dieser Person wirklich überzeugt war.
Lesen Sie Arbeitszeugnisse daher aufmerksam. Die negativen Eigenschaften von Bewerbern sind dort meist deutlich erkennbar, wenn auch durch den Zeugnisjargon versteckt. Denn wer froh ist, einen Mitarbeiter los zu sein, wird sich auch die Mühe machen, in einer möglichen Chef-Position nachfolgende Kollegen vorzuwarnen. Ist ein Zeugnis jedoch mehr oder weniger „gut“, empfiehlt es sich, sich einen eigenen Eindruck von dieser Person zu machen. Vielleicht ist sie wirklich einfach „gut“, vielleicht ist sie schlechter, aber man wollte kein schlechteres Zeugnis ausstellen. Vielleicht ist sie aber tatsächlich auch besser, und der vorherige Arbeitgeber wollte einfach nicht zu sehr „auf den Putz hauen“.
Lebensläufe tragen ebenso zum Gesamteindruck bei und sind oftmals ein Kriterium, ob zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird oder nicht. In einem Lebenslauf stehen eigentlich die persönlichsten Dinge. Er sollte ja „lückenlos“ sein. Das heißt, vom Zeitpunkt des Erwerbs des Berufsabschlusses bis dato ist alles aufgeführt, was je die berufliche Laufbahn gekreuzt hat: diverse Arbeitgeber, Auslandsaufenthalte, aber auch familiäre Intermezzi.
Und hier fängt das Deuten an – denn nichts anderes ist es, wenn man sich ohne persönliche Befragung der Person selbst an den Standard-Erklärungen entlang hangelt. Was besagt ein Arbeitsstellenhopping alle 1-2 Jahre? Wirklich eine fehlende Geradlinigkeit und Beständigkeit? Könnte es vielleicht auch daran liegen, dass BewerberIN soviel Grips hat zu erkennen, wenn im Betrieb etwas im Argen liegt, dieses aber partout nicht von der Praxisführung erkannt und behoben wird? Ist es wirklich so nachteilig, wenn Frau – oder mittlerweile ab und an auch Mann – wegen Kindererziehung zuhause geblieben ist? Ist die Anzahl der Kinder wirklich einer Anstellung abträglich? Kinderbetreuung (-erziehung) mit allem was dazu gehört, lehrt Geduld, Ausdauer, Organisation und fordert mancherorts den Ausbau der didaktischen und strategischen Fähigkeiten. Ein Wechsel in eine andere Branche ist ein Hinweis worauf? Offenheit? Mut? So etwas könnte auch den Blick über den Tellerrand stärken. Manchmal gar nicht schlecht für Praxisstrukturen.
Wenn nicht gerade die Zugehörigkeit zur Mafia im Lebenslauf steht, hat jeder Bewerber/jede Bewerberin eine Einladung zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch verdient. Wie sieht es juristisch mit den Auswahlkriterien über Lebensläufe aus? Da gilt es doch bestimmt auch wieder einen Tremor beim Ziehen des Mikadostäbchens zu beachten.
Wie bereits oben erläutert, darf eine Absage nicht aufgrund eines Lebenslaufs erteilt werden, der kein Bewerbungsfoto enthält. Auch Geburtsdatum, Familienstand, Nationalität oder Religion müssen seit Inkrafttreten des AGG nicht mehr angegeben werden, selbst der Vorname darf abgekürzt werden. Wichtig ist, dass Sie den roten Faden in den fachlichen Lebensbereichen der Bewerber suchen und sich selbst ein Bild machen. Ein persönliches Gesprächlässt manche Lücke und manchen Jobwechsel in einem anderen Licht erscheinen.
Welche Stäbchen ziehe ich denn nun in meinem Mikadospiel?
Ganz ehrlich? Es ist nicht mehr so wie früher, als man als Stellenausschreibender wirklich überflutet wurde mit Bewerbungen. Geben Sie jedem Bewerber, jeder Bewerberin, deren aktuelle Zeugnisnoten in Deutsch und Mathematik mindestens befriedigend sind, unabhängig von den anderen mitgeschickten Unterlagen, zunächst einmal einen Vorstellungstermin. Natürlich gilt dies auch für diejenigen, die den Berufsabschluss mit mindestens befriedigend bestanden haben. Haben Sie bei einer Person, deren Noten vielleicht etwas schlechter sind, dennoch ein Gefühl von Interesse, dann umso besser. Her damit. Lassen Sie sich nicht von eventuellen Vorurteilen treiben, die Ihnen beim Lesen der Bewerbungsunterlagen in den Sinn kommen. Wie schon gesagt: Papier ist und war schon immer geduldig. Es gibt nichts besseres als den persönlichen Kontakt mit einer Portion Intuition und Beobachtungsgabe.
Wenn Sie noch nicht sicher sind, ob Sie jemanden zum Vorstellungsgespräch einladen wollen, gibt es noch die Möglichkeit, weitere Auskünfte über Bewerberfragebögen zu erhalten. Hier sollten Sie allerdings vorsichtig sein,denn das AGG ist auch dann zu berücksichtigen, wenn ein Bewerber schon die ersten Hürden geschafft hat und im engeren Auswahlkreis für ein Bewerbungsgespräch steht. Fragen Sie daher möglichst keine Bewerbermerkmale ab, sondern legen Sie den thematischen Schwerpunkt auf eine Beschreibung von (bisherigen und künftig im Raum stehenden) Aufgaben und Qualifikationsmerkmalen.
Während des noch laufenden Bewerbungsverfahrens bereits erste Absagen zu versenden, kann ich nicht empfehlen. Ob ein Bewerber für Sie tatsächlich nicht in Frage kommt, zeigt sich oft später als man denkt. Im übrigen ist es sehr wichtig, Absagen korrekt zu formulieren (das AGG lässt – mal wieder – grüßen). Wie Sie dies machen, erläutern wir Ihnen im letzten Teil dieser Serie. Bis dahin geben Sie am besten bei Rückfragen lediglich die Auskunft, dass das Bewerbungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei.
Ich bereite zwischenzeitlich schon einmal den nächsten und wohl spannendsten Teil der Serie vor: das Bewerbungsgespräch. Dieses gilt es vorzubereiten. Investieren Sie etwas Zeit dafür. Wie? Das erfahren Sie in der nächsten Ausgabe.